- Trip to shore -
 

Wijk aan Zee 2007
 
Wenn irgendwo ein Weltklasseturnier stattfindet, wird meist auch irgendwo ein Kiebitz aus Ostfriesland gesichtet. Nach Dortmund 2003 und 2004 sowie Mainz 2005 war diesmal das Ziel Wijk aan Zee. Am 20.01. machten Sebastian Müer und ich uns auf den Weg in das kleine holländische Küstenstädtchen zum jährlichen Corus-Turnier, welches mittlerweile zum bedeutendsten Turnier der Welt aufgestiegen ist. Wir konnten gar nicht glauben, daß bis dato der Aserbaidschaner Radjabov mit erstaunlichen 5/6 das Feld dominierte, das mußte man sich doch mal persönlich vor Ort ansehen.
  
Der rote Punkt markiert Wijk aan Zee.
Liegt etwa 260 km von der deutschen Staatsgrenze.
Die De Moriaan Halle beherbergt drei
Meister-  und div. Amateurturniere
 
Wijk liegt ca. 20 Minuten nordwestlich von Amsterdam. 260 km und ca. 2,5 Stunden Fahrzeit meinte der Routenplaner. Stimmte auch fast, dummerweise war wegen eines Unfalls genau die Abfahrt bei Haarlem gesperrt, die wir fahren mußten. Naja, wenigstens Haarlem, und nicht die Bronx. Somit hangelten wir uns manuel weiter bis zur Nordseeküste und dann irgendwie aufwärts bis nach Ijmuiden. Dort war aber finito, da uns ein Gewässer im Weg war. Aber es gab eine Fähre, und irgendwann waren wir dann auf der Zufahrtsstraße zu Wijk. Doch oh weh - ein Verkehrsunfall und eine Vollsperrung machten uns abermals zu schaffen.

Ich vermutete mittlerweile schon mehr - hatte vielleicht Topalovs Manager Danailov sämtliche Zufahrtsstraßen unter Kontrolle, um Topas Gegner Ponomarjov die Anfahrt zu verunmöglichen? Wer weiß... Aber auch das schafften wir, und nach gefühlten 4 Stunden kamen wir doch noch in Wijk an. Gegenüber dem Spiellokal, der De Moriaan Halle, lagen die Analysezelte, welchen wir zuerst einen kurzen Besuch abstatteten. Sebastian nutzte dann eine Bank vor dem Zelt, um Fischers berühmtes Parkbankinterview nachzustellen: "I pressed for the win, you know..."
 

Bobby Fischer bei seinem
berühmten Interview auf der Parkbank
Sebastian Müer imitiert Fischer
vor der Turnierarena in Wijk aan Zee
 
Nun aber rein in die Halle. Der Eintritt war übrigens frei, dafür erlebte man die Partien nur unkommentiert. Eine profunde Analyse konnte man sich aber im besagten Zelt anschauen, wo die Partien auf einer Bühne kommentiert wurden. In der Halle schlängelten wir uns zunächst durch einige Buchstände durch und dann waren wir drin im Mekka der Denksportler. Mehrere hundert Spieler vergnügten sich in einem Open, etwas abgeschottet saßen die Meister, die in einem A-, B- und C-Turnier kämpfen. Deren Partien konnte man auf großen Bildschirmen verfolgen, aber auch so kam man ziemlich nah ran. Und fotographieren war natürlich auch nicht verboten.
 
Eingang zum "Corus Chess Tournament 2007".
Links die Bilder früherer Gewinner.
An der Deko kann man noch feilen: Dachten sich auch wohl Weltmeister Wladimir Kramnik und der Inder Vishy Anand, welcher schon genervt auf seinen Tisch blickte.
 
Wir sahen also alle Meister leibhaftig. Alle, bis auf Tiviakov und Karjakin. Auf Grund unseres Car Jackin' auf der Anreise waren wir ja etwas zu spät und unfairerweise hatten sich die beiden bereits auf ein Remis verständigt. Ansonsten war aber alles normal: Kramnik tigerte beständig umher, immer mit einem Getränk in der Hand; Topalov hatte sich am Brett in seine Hände eingegraben; Carlsen konnte sich nicht entscheiden, ob er seine Sportjacke nun an- oder ausziehen soll; Navara grinste vor sich hin und Anand war wieder mal die Ruhe selbst.

Gegen den führenden Radjabov kam "Vishy" aber auch mit den weißen Steinen über Remis nicht hinaus. Kramnik schob einen Ruhigen mit Schwarz gegen Aronian, auch hier gab es ein Remis. Wenig Feueralarm an Bord auch bei Shirov, der gegen Kramniks Sekundanten Motylev remisierte. Nur 1/7 bisher für Shirov - vielleicht zuviel ge"fire"t? Es gab aber doch noch Siege zu vermelden: Veselin startete durch wie eine Tupolev und besiegte Ponomarjov. Auch Svidler gewann - gegen Carlsen. Die längste Partie lieferten sich Lokalmatador van Wely und Navara. Navara hatte im Turmendspiel einen Mehrbauern und widerstand allen Tricks des Holländers: 1-0...
  

Turnierhölle in Wijk
Indien - Aserbaidschan 1/2
 
Spöl off, Shirov - Remis gegen Motylev
Ruslan(d) kann den Bul(l)garen nicht (s)toppen
 
Carlsen hatte gegen Svidler das Nachsehen
Der Lokalmatador rechts mußte aufgeben
 
Wir schnupperten noch ein wenig Turnieratmosphäre und deckten uns mit Schachliteratur ein. Aber auch abseits der Spielhalle war noch einiges geboten. Ganz Wijk scheint derzeit nur ein Thema zu kennen. Endlich mal ein Ort, wo Schach allgegenwärtig ist. Die Läden haben Schachdekorationen, die Restaurants bieten Schachmenüs an, in den Kneipen finden sich überall Schachbretter auf den Tischen - kurzum: Schach total. Sieht so der Himmel der Schachspieler aus?

Insgesamt bleibt nur ein positives Fazit. Die Atmosphäre ist einfach einmalig. Wer noch hin will: Bis zum 28.01. wird noch gespielt. Und die Rückreise gestaltete sich denn auch ganz unproblematisch, der Routenplaner hatte diesmal sogar recht. Nun gut, Topalov hatte ja auch gewonnen...
 

"Ob ich wohl heute abend in Wijk noch was gutes zu Essen kriege?"
 
- frank modder, 21.01.07