- NorthWestern-Cup, Nebraska, 2014 -
23.01. - 26.01.
 

Holthusen-Revival im Ammerland
Starke Leistungen bei den Winterspielen
 
Ein besonderes Turnier

Erstmals seit 6 Jahren wieder ein Turnierbericht vom Nord-West Cup, welcher hier letztmalig mit dem „legendären“ Turniertagebuch 2008 vertreten war. Warum diese Pause? Das Turnier hält immer so viele Eindrücke bereit, daß es schwer ist, diese alle zu sortieren und zusammen zu fassen. Mit weit über 300 Teilnehmern ist der Nord-West Cup weiter gewachsen und ein Ende ist nicht absehbar. Er ist immer auch ein Stelldichein einiger bekannter Größen sowie ein Treffpunkt vieler hiesiger Leute, was stets für eine besondere Atmosphäre sorgt.

In diesem Jahr war vor allen Dingen auch Turm Holthusen wieder mit vier ehemaligen Mitstreitern vertreten: Keno Lübsen (Delmenhorst), Edwin Lehmann (Emden) und Andreas Slopinski (Lilienthal) waren am Start, dazu Sebastian Müer und ich. Unglaublich: Für uns war es bereits der 10. Nord-West Cup. Ein kleines Jubiläum also. Das „Turnier der kurzen Wege“ (lt. Veranstalter-Homepage) erwies sich in dieser Hinsicht diesmal als ein wenig problematisch: Mit Sebastian und Keno fuhren wir wie gehabt täglich die Route Bunde <=> Bad Zwischenahn, aber ab Freitag hatten wir mit gewaltigen Schneemassen zu kämpfen und fühlten uns teilweise mehr auf einer Polarexpedition als auf einem Schachturnier.
 

Original...
...und Fälschung.
Das wurde tatsächlich auf der Fahrt aufgenommen.

Aber die Leistungen litten nicht. Im Gegenteil: Wir zeigten alle sehr starke Partien und hoffentlich ist dies ein Indiz dafür, daß es in der schachlichen Entwicklung nochmal einen Schritt nach vorne gegangen ist. Gespielt wurden wie gehabt 7 Runden, allein im A-Turnier, wo wir alle mitspielten, waren über 200 Spieler vertreten. Die Bedenkzeit war 2 Stunden für 40 Züge und dann 30 Minuten für den Rest. Also ohne Inkrement, wie noch zuletzt in Verden. Das sorgte teilweise für dramatische Zeitnotschlachten, die es mit Zeitgutschrift nicht mehr gibt. Geschmacksache, aber ich finde, es hat auch was für sich. Eine Inkrementregelung wäre aber in Zukunft möglich, zumindest im A-Turnier habe ich nur elektronische Uhren gesehen.

Erster Tag, Donnerstag, Runde 1: Ein Happy Birth-Draw

Sebastian hatte als Nr. 26 der Setzliste mit Weiß wenig Probleme gegen DWZ 1800 und holte den ersten Punkt. Problematischer wurde es für die Holthuser: Wir spielten alle in der unteren Hälfte und bekamen starke Gegner. Für mich war es eine besondere Partie, erstmals spielte ich eine Turnierpartie an meinem Geburtstag. Korchnoi meinte einmal, an seinem Geburtstag solle man nicht spielen. Nicht aus Aberglauben, sondern man sei an einem solchen Tag einfach nicht kämpferisch gestimmt. Nun denn! Mein 2100er Gegner spielte mit Weiß ein ruhiges System („bestenfalls harmlos“ sagt die Literatur - dieser Satz war auch das einzige, woran ich mich in der Variante erinnern konnte) und ich stand zwar unter latentem Druck, konnte aber Fehler vermeiden und schließlich in ein einfaches Turmendspiel abwickeln, in dem ich die offene d-Linie und symbolischen Vorteil hatte. Es endete korrekterweise mit einem Remis durch Zugwiederholung. Mein Ziel war erreicht: Ein „glückliches“ Geburtstags-Remis – a Happy Birth-Draw!

Erwähnenswert ist auch Edwin, der mit Schwarz gegen knapp 2200 ebenfalls Remis holte. Den Vogel schoss aber Keno ab, der an Brett 16 gegen einen FM mit auch 2300 Punkten mit Schwarz spielte. Keno hatte irgendwann einen Bauern mehr und auch die besseren Figuren in dem Endspiel. Würde er gewinnen können? Es sah technisch aber noch schwierig aus. Und dann trennte Keno plötzlich alle Figuren heraus und ging ins Bauernendspiel über. Auf den ersten Blick schien dies verwunderlich: Beide Spieler hatten noch den f-Bauern, Keno dazu den h-Bauern. Aber der war noch weit zurück, der gegnerische König schon in der Nähe und Kenos King Kong auf der a-Linie unterwegs… Gerade, als ich mir Gedanken machen wollte, wie man notfalls Remis halten kann (meine Spezialität), führte Keno, der genau gerechnet hatte, die Stellung mit dem notwendigen Extra-Tempo zum Sieg. Ein toller Auftakt, wie schon im Vorjahr ein Erstrundensieg gegen 2300!
 

Die Wandelhalle im Schnee hat was.
Und innen tobt die Schlacht.

Zweiter Tag, Freitag, Runden 2 und 3: Ikonen

Sebastian landete zunächst erneut einen klaren Sieg gegen 2000 mit Schwarz, danach durfte er sich an Brett 2 mit dem Großmeister Ikonnikov (2570) messen. Hier stand Sebastian etwas bedenklich, aber der Meister ließ ihn wieder etwas ins Spiel zurückkommen. Es entstand eine Stellung mit jeweils Turm und zwei Leichtfiguren und einem Mehrbauern für Sebastian. Doch er bekam weitere Probleme, der Gegner hatte das Läuferpaar und sein eigener Springer hatte sich am Brettrand verirrt und kam nicht mehr ins Spiel. Bast versuchte noch Tricks in eigener Zeitnot, aber er verlor Material.

Mir gelangen an diesem Tag zwei weitere Unentschieden gegen starke Gegner. Gegen Kai Uwe Steingräber, 2100er aus Delmenhorst, wankten die Vorteile etwas hin und her, ich gewann im Mittelspiel einen Bauern, aber mein Gegner hatte auch etwas Grip als Kompensation. Das Remis ging wohl in Ordnung. In der Nachmittagspartie mit Schwarz gegen 2000 war nicht viel los. Ich schwenkte früh mit der Dame auf seinen Königsflügel, konnte aber nicht die erhofft gefährlichen Drohungen aufstellen. Mein Gegner hatte zwar das Läuferpaar, spielte aber eher verhalten und es kam zu einer Zugwiederholung.

Zwei Remis erzielte auch Keno gegen 2100er Gegner, darunter auch wieder ein FM. Also ein wahrlich phantastischer Auftakt. Klar, Sebastian hatte einen Punkt abgegeben, aber gegen diesen Gegner war es auch ein wenig zu erwarten. Nach Niederlagen gegen 2100 bzw. 2000 am Vormittag kamen dann auch Edwin  und Andreas zu ihrem ersten Sieg gegen 1600er in ihren jeweiligen Nachmittagspartien. Gerade für Andreas ein schöner Erfolg, liegt doch seine letzte Turnierpartie vier Jahre zurück.

Die Spielbedingungen in der Wandelhalle von Bad Zwischenahn würde ich allgemein als gut bezeichnen. Auf Grund der Klimaanlage ist es zwar relativ kühl im Raum (zum Aufwärmen konnte man ja hinausgehen, s.o.), dafür hat man aber normalerweise genug Platz, zumindest im mittleren Spielbereich und natürlich an der rechten Fensterseite. Der Analyseraum wurde diesmal für die Partien des neu eingeführten C-Turniers genutzt, was auch notwendig war. Das Turnier scheint größentechnisch aber nunmehr an seine Grenzen zu stoßen.

Problematisch ist die Toilettensituation. Der aufgehängte Hinweis „Hinterlassen Sie die Örtlichkeiten so, wie Sie sie vorfinden wollen“ kann durchaus eine gefährliche Aussage auf Schachturnieren sein. Die Verpflegung war allerdings unkritisch, schnell war ein Kaffee organisiert. Im Turniersaal herrschte Alkoholverbot, wobei die Schiedsrichter sich auch bei alkoholfreiem Weizen nicht erweichen ließen. Das Turnier ist auch jedes Jahr reich an skurrilen Geschichten. Diesmal gab es die Story eines hier nicht näher genannten Titelträgers, der im Turniercafé nur solche Fünf-Euro-Scheine als Wechselgeld annahm, deren Seriennummern auf die Ziffer 5 endeten! Schachspieler eben…
 

Andreas mal wieder in Aktion.
Er spielte unter dem Motto "Dänen werden wir's zeigen"
Edwin gewann Wertungspunkte hinzu.
Der Schneemann machte auch ohne Pinguin eine gute Figur.

Dritter Tag, Samstag, Runden 4 und 5: Sebastian als Höhlenmensch

Anders als bei der FIDE galt in Bad Zwischenahn eine Kontumazzeit von 30 Minuten. Vor der 4. Runde wurde diese auf eine Stunde ausgeweitet, da in der Nacht der Winter über Norddeutschland hereingebrochen war. Wir schafften es aber pünktlich durch den Schnee. Den Yeti konnten wir also links liegen lassen, dafür trafen wir im Turniersaal jedoch auf einen echten Höhlenmenschen.

Sebastian hatte es an diesem Tag mit zwei 2000ern zu tun. Der erste Gegner, Thomas Edel, war ein alter Bekannter, gegen den er schon mehrfach, auch beim Nord-West Cup, spielte. Um einen ehemaligen Vereinskameraden vom SK Union Oldenburg handelte es sich hingegen bei Torsten Thimm. Sebastian zeigte sich von zwei Seiten: Gegen Edel wurde es eine Kneterei mit Schwarz, hier stand er zwischendurch vielleicht sogar mal etwas kritisch. Aber am Ende konnte er diesen Gegner überspielen. In der anderen Partie aber schwang Sebastian sehr früh die Keule in einem Knüppelangriff mit frühem Vorstoß des h-Bauern gegen die gegnerische Fianchetto-Stellung (O-Ton Sebastian: „ein Höhlenmenschenangriff“). Nachdem die Neandertaler von der Jagd zurück waren, sprich Abwicklung, hatte er einen Bauern gewonnen, im Endspiel einen weiteren und damit den vollen Punkt. 4,0/5!

Für mich sah es in Runde 4 gegen 2000 zunächst nach einer weiteren erfolgreichen Partie aus. Ich startete einen Angriff, welchem der Gegner durch Opfer der Qualität begegnete. Aber die Stellung blieb kompliziert, er bekam noch einen weiteren Bauern und hatte ein starkes Zentrum. Ich musste dann genau spielen, da mein Turm ausgesperrt war. Nach einem Fehler meines Gegners aber konnte ich die Qualität zurückgeben und sein Zentrum unter Gewinn zweier Bauern auflösen. Im Endspiel Dame+Turm hatte ich einen Mehrbauern und suchte den Gewinn („es roch nach Remis“ meinte jedoch Sebastian). Man urteile selbst:
 

Ich mit Weiß am Zug.
Aufgabe: Weiß am Zug... verliert!*

* Lösungen bitte direkt an mich, unter allen Einsendungen verlosen wir "55 feiste Fehler" von Robert Hübner.

Nach dem (korrekten) Tausch der Damen (sonst kommt sofort Ta2 mit schnellem Remis) hatte ich sogar zwei verbundene Freibauern, aber ich nutzte meine Chancen nicht, stellte meinen Turm wieder passiv und der Gegner bildete seinerseits Freibauern. Sein aktiverer König erledigte den Rest. Eine extrem bittere Niederlage nach fünf Stunden. Angewidert stand ich dann in der Nachmittagspartie mit Schwarz gegen 2100 schnell passiv und schmiss die Brocken früh hin. Ein Doppelnullagent…

Auch die anderen Holthuser waren eher bescheiden unterwegs: Andreas machte ebenfalls den James Bond, Edwin mit 0,5/2 gegen 2000er und Keno ebenfalls mit 0,5, aber immerhin einem Remis gegen 2100.
 

Sebastian gegen Jorden van Foreest.
Keno und ich beim abendlichen Post Mortem.

Vierter Tag, Sonntag, Runden 6 und 7: Starkes Finale

In diesem Jahr war ein größeres Feld Skandinavier am Start. So spielte Andreas am letzten Tag gleich gegen zwei Dänen, insgesamt hatte er drei Gegner aus diesem Land. Ich traf bereits zum Auftakt auf einen Spieler aus Dänemark, während Keno seinen letzten Spieltag gegen einen Schweden begann. Generell waren doch diesmal viele neue Gesichter zu sehen. Auch die nächste Generation Jugendspieler rückt heran.

Andreas beendete das Turnier mit zwei Remis gegen Spieler von mehr oder weniger seiner DWZ-Spielstärke. Unter dem Strich für ihn noch eine 1600er Turnierleistung, was angesichts der langen Turnierpause sicherlich ein sehr akzeptables Ergebnis war. Zufrieden konnte auch Edwin sein, der nochmal gegen 1600 einen weiteren vollen Punkt holte, nämlich Aurichs Tiemon Neumann, sowie ein Remis gegen meinen Gegner aus Runde 3. Damit hat er eine DWZ-Performance von ca. 1980 Punkten erzielt.

Keno besiegte den hohen 2000er Schweden, bevor ihn in der letzten Runde sein einziger taktischer Fehler im Turnier eine Figur und den Punkt kostete. Seine Turnierleistung lag bei erstaunlichen 2130 DWZ. Im Vergleich zum Niedersachen-Open Anfang Januar in Verden schon wieder ein gewaltiger Schritt nach vorne.

Für mich begann der letzte Tag gegen einen dankbaren 1800-Elo-Gegner: Seine DWZ war 1400. Hier gewann ich schnell, obwohl mein abschließendes Figurenopfer nicht so durchschlagend war wie erhofft - weiterhin Ausgleich, sagen die Maschinen. Aber mein Gegner streckte die Hand mit den Worten „das überzeugt mich“. Ich sah die - einstweilige - Rettung aber auch erst hinterher. Nebenbei: Zum Thema "Aufgegeben in Ausgleichs- oder Gewinnstellung" könnte man mal eine eigene Kolumne machen. Zwei Beispiele aus meiner Turnierpraxis:
 

Ende eines Grinds:
Diese Stellung gab ich mit Schwarz
an dieser Stelle auf. Warum?*
Ende einer Kombination.
Weiß gab wg. Matt auf h2 auf.
Tg1:+ und Weiß gewinnt.

* Alle korrekten Einsendungen bekommen "So darfst Du nicht Schach spielen" von Snosko-Borowski. Allerdings weiß ich selbst nicht, warum.

Die letzte Partie brachte dann ein Zeitnotdrama mit sich. Mein 2000er Gegner spielte extrem kreativ, verbrauchte aber enorme Bedenkzeit. In seiner Zeitnot konterte ich, aber machte den Sack nicht zu. Das Endspiel mit Springer gegen Läufer und einem Mehrbauern für mich war schwierig, aber ich konnte es dann, nachdem er in der zweiten Phase erneut in Zeitnot kam, gewinnen.

Sebastian traf am letzten Tag auf den jungen Niederländer Jorden van Foreest, 2300 Punkte im richtigen Leben, aber mit 2600 Punkten im Blitz-Schach auf dem schach.de-Server gesegnet. Er erwischte Sebastian in einer positionellen Nebenvariante, mit der unser Kämpfer nicht so gut zurecht kam. In schlechterer Stellung gab Sebastian dann eine Figur für einen Bauern, aber auch der entstandene Freibauer war keine ausreichende Kompensation. Die Partie ging verloren. Ein spannendes Duell stand in der letzten Runde gegen seinen Mannschaftskameraden Jan Wagner an. Sebastian hatte Weiß und etwa 80 Punkte mehr, war also leicht favorisiert. Er konnte auch Raumgewinn im Zentrum bzw. am Königsflügel vermelden, aber es blieb lange unklar. Später gewann er Material und seinen 5. Punkt im Turnier. Mit Platz 16 erreichte Sebastian eine hervorragende Placierung und nahm noch einen Geldpreis in der höchsten Ratinggruppe mit. Seine Turnierleistung lag bei 2340 Punkten, was schon klar in Richtung seiner 2400 an derselben Stelle aus dem Jahre 2011 ging.

Fazit

Starke Leistungen allenthalben. Nach dem ein oder anderen Rückschlag, bzw. einer Stagnationsphase war dieses Turnier ein wahrer Brustlöser. Viele gute Eindrücke und ein schönes Turniererlebnis mit langen abendlichen Analyserunden bleiben als Erinnerung erhalten. Schade, daß das Turnier bereits wieder beendet ist. Aber auch andere sind wehmütig: Am reichhaltig gedeckten Tisch des Buchverkaufsstandes gönnte ich mir zum Abschluß “Carlsen’s assault on the throne” von Kotronias/Logothetis. Am Ende des Kapitels über das Londoner Kandidatenturnier 2013 steht eine schöne Schlußbemerkung, die auch hier passt:

“The next day is rainy and melancholic, as it should be. The return to reality after an exciting tournament is always depressing.”

Hier noch der Link zur Turnierseite:

Nordwest-Cup

- frank modder, 05.02.2013
 

An den vorderen Brettern
wurden die LEViten gelesen.