"Into the
great wide Open" - Tom Petty
Von unserer Schokoladenseite
konnten Sebastian Müer und ich uns beim - lt. Veranstalter - größten
deutschen offenen Turnier nur teilweise zeigen, zumindest was mich
betrifft wurde eher Zartbitter serviert. 744 Teilnehmer fanden sich in
drei offenen Turnieren im kleinen Ort Deizisau ein, etwas südlich
von Stuttgart gelegen, um ein neunrundiges Turnier nach dem Schweizer System
zu spielen. Sebastian und ich waren zusammen mit etwa 400 Teilnehmern im
A-Turnier angemeldet.
Mit dabei unter anderem
die deutsche Nr. 1 Arkadij Naiditsch (Weltranglistenplatz 52) und der amtierende
deutsche Meister Niclas Huschenbeth aus Hamburg. An Platz 1 gesetzt war
allerdings der einzige 2700er im Feld, der französische Großmeister
Etienne Bacrot (Nr. 25 der Weltranliste). Zu ihm später noch mehr.
Gespielt wurde in der Gemeindehalle (etwa die ersten 85 Bretter des A-Turniers)
sowie in der angrenzenden Sporthalle (nochmal ca. 300 Bretter). Unserer
Unterkunft in einem Tagungszentrum war gut, die Organisation des Turniers
selber kann aber in ein paar Punkten noch verbessert werden. So standen
in der Sporthalle den dortigen 600 Spielern nur drei Toilettenkabinen zur
Verfügung, was immer wieder zu einem Chaos führte. Und die Paarungen
der jeweils nächsten Runde wurden immer extrem spät bekanntgegeben.
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Die Sporthalle
als Hauptaustragungsort, gleich links
davon liegt das Gemeindehaus
mit den Toppartien.
Die wichtigste Örtlichkeit
jedoch liegt genau dazwischen:
Ein sehr gutes italienisches
Restaurant!
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Die Spiellokale
liegen unmittelbar am Neckar.
Die Idylle genießen
kann man jedoch nicht,
mit zwei Partien pro
Tag ist es kein Urlaubsturnier.
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1. und 2. Turniertag
Sebastian gewann zum
Auftakt in einer schönen Positionspartie. Der Gegner (1950 DWZ/1997
ELO) hatte nach eigener Aussage seit sechs Jahren nicht mehr die 1. Runde
verloren - da müssen also erst die Ostfriesen ran, um solche Serien
zu brechen. Am zweiten Turniertag, dem Karfreitag, musste El Basto aber
dann schon gegen den russischen Großmeister Yemelin antreten (2555/2575),
die Nr. 4 der Setzliste. Sebastian nahm in der Eröffnung einen Bauern
mit und später auch noch einen geopferten Springer, aber dem Druck
gegen seine Rochadestellung konnte er nach einem Fehler nichts mehr entgegensetzen.
Die Nachmittagspartie brachte ihm dann eine starke Stellung gegen 1954/2040,
in der er allerdings ein einfaches Abzugsmotiv übersah, wonach der
Gegner die Luft aus der Stellung lassen konnte - mehr als Remis war da
nicht mehr zu machen.
Bei mir selber brachte
die Auftaktrunde einen FM (2155/2196), in der ich eine völlig ausgeglichene,
endspielnahe Position einzügig einstellte. Am Karfreitag warf ich
ein einfaches Remis gegen einen Schweizer mit knapp 2100 weg. Hier war
mit einer simplen Springergabel eine sofortige Zugwiederholung möglich,
ich sah es unmittelbar, nachdem ich etwas anderes gezogen hatte. In der
ausgeglichenen Endspielstellung spielte ich in der Folge ungenau und verlor.
Die zweite Partie des Karfreitags war schon erfolgreicher. Gegen 1986/2037
kam ich als Schwarzer mit Ausgleich aus der Eröffnung. Am Ende hatte
ich ein etwas besseres Leichtfigurenendspiel, aber ein Gewinn war wohl
nicht drin. Somit hier ein Remis.
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Sebastian auf
der Bühne gegen Großmeister Yemelin.
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Ich bin hier vorne
als zweiter von links mit dem Gesicht
zur Kamera zu sehen
in meiner Partie der Runde 3.
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3. Turniertag
Der Samstag sollte
sich dann für Sebastian als sehr erfolgreich erweisen, während
es bei mir in der Nachmittagspartie zu einem Drama kam. In der Vormittagsrunde
unterlief uns beiden ein Doppelfehler à la Cento (siehe
Bericht): Sebastian bereitete sich diesmal zwar nicht mit
der falschen Farbe vor, sondern auf den falschen Gegner - wir waren auf
dem Paarungszettel in der Zeile verrutscht. Ich selber setzte noch einen
drauf und landete sogar am falschen Brett. Nach sechs Zügen endlich
mal einer interessanten Eröffnung musste ich diese Partie abbrechen,
um ein Brett weiter rechts zu spielen - natürlich von der Grundstellung
aus. Leider ging es am neuen Brett eröffnungsseitig um einiges "staubiger"
zu...
In seiner Partie stand
Sebastian schlecht gegen 2019/2086, brachte aber den Gegner in Zeitnot,
der Probleme hatte, mit der notwendigen Technik aufzuwarten. In immer noch
schlechterer Lage wich Sebastian sogar einem Remis aus (der Gegner wollte
eine Zugwiederholung machen), um einen verdächtigen Bauern mitzunehmen.
Er nahm auch einen starken gegnerischen Freibauern in Kauf. Dieser Kampfgeist
zahlte sich aus, in einer spannenden Schlacht behielt El Basto das Material
und gewann das Läuferendspiel. Und wieder, wie in Cento, haben wir
den Beweis, daß Vorbereitung überbewertet wird!
Es war ürigens
während dieser Runde richtig Stimmung in der Bude: Ein Spieler, der
seine Partie bereits beendet hatte, machte es sich auf der Empore der Sporthalle
gemütlich und verfiel in ein kleines Nickerchen. Eigentlich nicht
weiter schlimm, allerdings schnarchte er dabei so laut, daß es noch
in der hintersten Ecke der Halle zu vernehmen war. Die Turnierorganisation
musste ihn schließlich aufwecken. Die Nachmittagsrunde brachte Sebastian
einen Schweden mit ELO 2035, der munter angriff. El Basto sah sich ein
wenig in die Enge gedrängt, ging dann aber irgendwann zum Gegenangriff
über und holte auch den zweiten Punkt an diesem Tag. Damit stand er
bei 3,5/5.
Bei mir sah es so aus:
Nach der Konsolidierung in Runde 3 konnte ich in der 4. Runde - nachdem
ich denn dann mal endlich mein richtiges Brett gefunden hatte - ein weiteres
Remis verbuchen, was gegen 1961/2031 sicher als positiv angesehen werden
kann. Hier war nicht viel los und man muß es als leistungsgerechet
bezeichnen. Entsprechend wieder in der Spur konnte ich in Runde 5 zum Großangriff
auf den ersten vollen Punkt übergehen. Die Gegnerin hatte 2041/2036,
lief aber in eine Eröffnungsfalle hinein, die mir zwei Mehrbauern
brachte. Danach ist die Stellung eigentlich mausetot. Wahrscheinlich habe
ich mir jedoch da bereits nur noch Gedanken darüber gemacht, von welcher
Marke denn die Siegeszigarre sein soll, sodaß ich vergaß, zu
rochieren. Als dann irgendwann eine Turmbombe in meine Königsstellung
flog, mußte ich entsetzt feststellen, in sieben Zügen Matt zu
gehen. Nach dem ausgelassenen Remis in Runde 2 der zweite große Nackenschlag
in diesem Turnier - aber noch nicht der letzte.
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El Basto in seiner
Partie der 4. Runde.
Es sah zu diesem Zeitpunkt
nicht sehr gut aus.
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Während Sebastian
(s. links) kämpfte, wurde
auf der Tribüne
munter geschnarcht. Vom Täter
wurde uns lediglich
dieses Phantombild zugespielt.
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4. Turniertag
Am 4. Turniertag war
Sebastian zunächst in geheimer Mission unterwegs - Gegner war der
Internationale Meister Roger Moor (2395 ELO) aus der Schweiz. Sebastian
schickte einen seiner Bauern auf eine tödliche Misson, sprich Opfer.
Der IM konnte jedoch das Material behaupten und den Punkt mitnehmen. Am
Nachmittag gab es dafür wieder einen Sieg gegen 2106/2090. Es war
eine sehr starke positionelle Leistung .Sebastian schnitt die gegnerischen
Möglichkeiten schön ab und erhöhte nach und nach den Druck
auf die Königsstellung der Gegnerin, bis der Angriff zu stark wurde
und die Stellung platzte.
Mich erwischte es ganz
lustig. Hey, 1 Punkt aus 5 Runden - da müsste doch eigentlich
ein schlagbarer Gegner drin sein!? Ich traf allerdings auf den bekannten
FIDE-Meister Fahnenschmidt, welcher noch in den 80iger Jahren ein bekannter
Bundesligaspieler war, der u.a. ebendort auch zweimal gegen einen gewissen
Dr. Hübner remisierte, der damals zur Weltelite gehörte. Auf
Grund gesundheitlicher Probleme hatte der gute Mann jedoch bis dato genau
wie ich nur ein Pünktchen ergattert. Die Partie wurde zu einer taktischen
Auseinandersetzung, bei der ich aber gut mitspielen konnte. Irgendwann
jedoch blieb in dem von meinem Gegner angerührten Handgemenge eine
Qualität von mir hängen, mein Gegenangriff war dann nicht mehr
ausreichend.
In der zweiten Partie
des Tages musste ich gegen einen blinden Spieler antreten. Hierbei ist
es notwendig, die eigenen Züge dem Gegner anzusagen und dessen angesagte
Züge auf dem Brett auszuführen. Natürlich für einen
selbst etwas ungewohnt, aber für den anderen ist das Handicap natürlich
wesentlich größer. Der Spieler hatte knapp 1600 DWZ und 1800
ELO - eine enorme Leistung. Ich spielte die Eröffnung hier grottenschlecht
und musste viel Zeit darauf verwenden, die Figuren umzuarrangieren, was
mein Gegner zu einem Zentrumsdurchbruch nutzte, der ihm völligen Ausgleich
gab. Remis war das Ergebnis dieser Partie.
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Blick in das Gemeindehaus
mit der Bühne.
Dort wurden die ersten
5 Bretter gespielt.
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Das ist die Turnhalle
mit weiteren 300 Brettern.
Links die restlichen
Bretter vom A-Turnier,
rechts finden sich
die Tische der B- und C-Turniere.
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5. Turniertag
Während ich also
bis dato im Turnier bereits zweimal mein Waterloo erlebt hatte, erreichte
in Runde 7 auch Sebastian mit seinen Truppen die Beresina. Gegner war IM
Rombaldoni aus Italien (2449 ELO). Hier konnte Sebastian dank der richtigen
Eröffnungswahl mit den schwarzen Steinen Ausgleich erzielen und ein
völliges Remisendspiel erreichen. Er hatte sogar einen Bauern mehr,
dazu den Läufer, der italienische Meister verfügte über
einen Springer, allerdings wohl auch über den aktiveren König.
Die Stellung war eigentlich tot Remis, aber nach einer unnötigen Ungenauigkeit
konnte Weiß noch einen Versuch unternehmen. Die Stellung war zwar
nach wie vor Remis, aber wie das so ist, ein Fehler folgt auf den nächsten
und diese Partie ging noch verloren.
Gleichzeitig erlebte
ich den dritten herben Schlag ins Kontor. Mit Weiß gegen 1790/1830
wollte ich endlich den ersten Punkt holen, kam allerdings mit Weiß
ohne Vorteile aus der Eröffnung und landete in einem Doppelturmendspiel.
Hier unterlief mir ein grober Fehler und ich stellte einen Bauern ein.
Aber all dem bisherigen Elend zum Trotz kämpfte ich nochmal und machte
in der Folge auch alles richtig: Einen Turm abgetauscht und die Bauern
am Damenflügel eliminiert. Am Königsflügel reduzierte ich
seine 4-3 Bauernmehrheit auf 2-1 und erreichte nach viereinhalb Stunden
endlich die gewünschte Remisstellung - dann hatte ich einen Blackout
und ließ mich mattsetzen. Der Kampf in Deizisau wurde auf verlorenem
Posten geführt.
Einen Blackout hatte
in der Schlußrunde auch Sebastians Gegner. Nach etwa 10 Zügen
stand er schon verdächtig, als er einen Spieß übersah und
eine Schwerfigur verlor - er musste aufgeben. Für einen Spieler mit
2125/2150 schon ein ordentlicher Bock. In meiner Schlußpartie wählte
mein Gegner als Weißspieler ein stumpfes Abtauschsystem. Ich wollte
nochmal was versuchen, mußte aber das Läuferpaar abgeben und
wir vereinbarten ein schnelles Remis. Endlich: Schluß und Aus, der
ganze Horror war beendet. Somit 5,5/9 für Sebastian und ein Gewinn
von 8 DWZ-Punkten, unter dem Strich sicherlich ok, aber ein halbes Pünktchen
mehr, z.B. gegen Rombaldoni, hätte er sicher gerne noch gehabt. Bei
mir standen 2,0 Punkte zu Buche, was einem Desaster und dem Verlust von
über 40 Wertungspunkten gleichkommt.
Fazit
"Heaven's Open"
- Mike Oldfield
Der Turniersieg ging
an Naiditsch, welcher 8,5 von möglichen 9 Punkten holte. Topmann Bacrot
enttäuschte mit 6,0 und Platz 39. Welche unglaublichen Fehler auch
solchen Weltklasseleuten passieren können, sah man in der Partie Spirin
vs. Bacrot in der 7. Runde. Es ergab sich folgende Stellung:
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Spirin - Bacrot
Schwarz am Zug
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Nunmehr grub Bacrot
in seinem 34. Zug als Schwarzer hier Te3 aus, was für allgemeines
Entsetzen sorgte. Zeitnot war definitiv hier nicht im Spiel. Der Franzose
hatte nach Zug 46 schließlich sogar einen ganzen Turm weniger, schleppte
sich aber noch bis Zug 66 weiter. Was hätte wohl Kortschnoi dazu gesagt?
Ansonsten bleibt zu
sagen, ein nettes Turnier, ein sehr professioneller Internetauftritt, allerdings
sehr späte Rundenauslosungen, was aber bei so vielen Teilnehmern vielleicht
nicht immer vermeidbar ist. Obwohl es Deutschlands größtes Turnier
ist, würde ich es nicht als Heaven's Open bezeichnen, die Toilettensituation
z.B. erinnerte eher an Hell's Kitchen. Aber bis 2012 haben die Jungs das
sicher geregelt. Wir kommen wieder!
Hier noch ein paar
Links:
Turnierseite
mit Ergebnissen
Bericht
bei Chessbase
- frank modder,
27.04.11
Sonstiges
Deizisauer Eindrücke
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Hier kamen wir täglich
auf dem Weg zum Turniersaal vorbei. "Kommst Du heute Abend mit ins Index?"
wurde zu einem geflügelten Wort. Das nennen die in Deizisau eine In-Disco?
Ich finde es in-disco-tabel. Der Spruch kommt auf den... |
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Bei einem Ausflug
nach Esslingen sah ich ein Fahrzeug der dort ansäßigen Spedition
Schach. Die haben anscheinend viel Spaß mit ihrem Sattel-Zug. Leider
habe ich verpaßt, ein Foto zu machen, mußte also dieses hier
aus dem Netz klauen. Aber seit zu Guttenberg ja kein Thema mehr. Im nächsten
Jahr klaue ich dann die Kiste selbst - als neues Turnierfahrzeug... |
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