- 15. Neckar-Open, Deizisau (Stuttart), 2011 -
21.04. - 25.04.

 
M&M beim größten deutschen Open mit 744 Teilnehmern
Bericht aus Stuttgart
 
"Into the great wide Open" - Tom Petty

Von unserer Schokoladenseite konnten Sebastian Müer und ich uns beim - lt. Veranstalter - größten deutschen offenen  Turnier nur teilweise zeigen, zumindest was mich betrifft wurde eher Zartbitter serviert. 744 Teilnehmer fanden sich in drei offenen Turnieren im kleinen Ort Deizisau ein, etwas südlich von Stuttgart gelegen, um ein neunrundiges Turnier nach dem Schweizer System zu spielen. Sebastian und ich waren zusammen mit etwa 400 Teilnehmern im A-Turnier angemeldet.

Mit dabei unter anderem die deutsche Nr. 1 Arkadij Naiditsch (Weltranglistenplatz 52) und der amtierende deutsche Meister Niclas Huschenbeth aus Hamburg. An Platz 1 gesetzt war allerdings der einzige 2700er im Feld, der französische Großmeister Etienne Bacrot (Nr. 25 der Weltranliste). Zu ihm später noch mehr. Gespielt wurde in der Gemeindehalle (etwa die ersten 85 Bretter des A-Turniers) sowie in der angrenzenden Sporthalle (nochmal ca. 300 Bretter). Unserer Unterkunft in einem Tagungszentrum war gut, die Organisation des Turniers selber kann aber in ein paar Punkten noch verbessert werden. So standen in der Sporthalle den dortigen 600 Spielern nur drei Toilettenkabinen zur Verfügung, was immer wieder zu einem Chaos führte. Und die Paarungen der jeweils nächsten Runde wurden immer extrem spät bekanntgegeben.
 

Die Sporthalle als Hauptaustragungsort, gleich links
davon liegt das Gemeindehaus mit den Toppartien.
Die wichtigste Örtlichkeit jedoch liegt genau dazwischen:
Ein sehr gutes italienisches Restaurant!
Die Spiellokale liegen unmittelbar am Neckar.
Die Idylle genießen kann man jedoch nicht,
mit zwei Partien pro Tag ist es kein Urlaubsturnier.

1. und 2. Turniertag

Sebastian gewann zum Auftakt in einer schönen Positionspartie. Der Gegner (1950 DWZ/1997 ELO) hatte nach eigener Aussage seit sechs Jahren nicht mehr die 1. Runde verloren - da müssen also erst die Ostfriesen ran, um solche Serien zu brechen. Am zweiten Turniertag, dem Karfreitag, musste El Basto aber dann schon gegen den russischen Großmeister Yemelin antreten (2555/2575), die Nr. 4 der Setzliste. Sebastian nahm in der Eröffnung einen Bauern mit und später auch noch einen geopferten Springer, aber dem Druck gegen seine Rochadestellung konnte er nach einem Fehler nichts mehr entgegensetzen. Die Nachmittagspartie brachte ihm dann eine starke Stellung gegen 1954/2040, in der er allerdings ein einfaches Abzugsmotiv übersah, wonach der Gegner die Luft aus der Stellung lassen konnte - mehr als Remis war da nicht mehr zu machen.

Bei mir selber brachte die Auftaktrunde einen FM (2155/2196), in der ich eine völlig ausgeglichene, endspielnahe Position einzügig einstellte. Am Karfreitag warf ich ein einfaches Remis gegen einen Schweizer mit knapp 2100 weg. Hier war mit einer simplen Springergabel eine sofortige Zugwiederholung möglich, ich sah es unmittelbar, nachdem ich etwas anderes gezogen hatte. In der ausgeglichenen Endspielstellung spielte ich in der Folge ungenau und verlor. Die zweite Partie des Karfreitags war schon erfolgreicher. Gegen 1986/2037 kam ich als Schwarzer mit Ausgleich aus der Eröffnung. Am Ende hatte ich ein etwas besseres Leichtfigurenendspiel, aber ein Gewinn war wohl nicht drin. Somit hier ein Remis.
 

Sebastian auf der Bühne gegen Großmeister Yemelin.
Ich bin hier vorne als zweiter von links mit dem Gesicht
zur Kamera zu sehen in meiner Partie der Runde 3.

3.  Turniertag

Der Samstag sollte sich dann für Sebastian als sehr erfolgreich erweisen, während es bei mir in der Nachmittagspartie zu einem Drama kam. In der Vormittagsrunde unterlief uns beiden ein Doppelfehler à la Cento (siehe Bericht): Sebastian bereitete sich diesmal zwar nicht mit der falschen Farbe vor, sondern auf den falschen Gegner - wir waren auf dem Paarungszettel in der Zeile verrutscht. Ich selber setzte noch einen drauf und landete sogar am falschen Brett. Nach sechs Zügen endlich mal einer interessanten Eröffnung musste ich diese Partie abbrechen, um ein Brett weiter rechts zu spielen - natürlich von der Grundstellung aus. Leider ging es am neuen Brett eröffnungsseitig um einiges "staubiger" zu...

In seiner Partie stand Sebastian schlecht gegen 2019/2086, brachte aber den Gegner in Zeitnot, der Probleme hatte, mit der notwendigen Technik aufzuwarten. In immer noch schlechterer Lage wich Sebastian sogar einem Remis aus (der Gegner wollte eine Zugwiederholung machen), um einen verdächtigen Bauern mitzunehmen. Er nahm auch einen starken gegnerischen Freibauern in Kauf. Dieser Kampfgeist zahlte sich aus, in einer spannenden Schlacht behielt El Basto das Material und gewann das Läuferendspiel. Und wieder, wie in Cento, haben wir den Beweis, daß Vorbereitung überbewertet wird!

Es war ürigens während dieser Runde richtig Stimmung in der Bude: Ein Spieler, der seine Partie bereits beendet hatte, machte es sich auf der Empore der Sporthalle gemütlich und verfiel in ein kleines Nickerchen. Eigentlich nicht weiter schlimm, allerdings schnarchte er dabei so laut, daß es noch in der hintersten Ecke der Halle zu vernehmen war. Die Turnierorganisation musste ihn schließlich aufwecken. Die Nachmittagsrunde brachte Sebastian einen Schweden mit ELO 2035, der munter angriff. El Basto sah sich ein wenig in die Enge gedrängt, ging dann aber irgendwann zum Gegenangriff über und holte auch den zweiten Punkt an diesem Tag. Damit stand er bei 3,5/5.

Bei mir sah es so aus: Nach der Konsolidierung in Runde 3 konnte ich in der 4. Runde - nachdem ich denn dann mal endlich mein richtiges Brett gefunden hatte - ein weiteres Remis verbuchen, was gegen 1961/2031 sicher als positiv angesehen werden kann. Hier war nicht viel los und man muß es als leistungsgerechet bezeichnen. Entsprechend wieder in der Spur konnte ich in Runde 5 zum Großangriff auf den ersten vollen Punkt übergehen. Die Gegnerin hatte 2041/2036, lief aber in eine Eröffnungsfalle hinein, die mir zwei Mehrbauern brachte. Danach ist die Stellung eigentlich mausetot. Wahrscheinlich habe ich mir jedoch da bereits nur noch Gedanken darüber gemacht, von welcher Marke denn die Siegeszigarre sein soll, sodaß ich vergaß, zu rochieren. Als dann irgendwann eine Turmbombe in meine Königsstellung flog, mußte ich entsetzt feststellen, in sieben Zügen Matt zu gehen. Nach dem ausgelassenen Remis in Runde 2 der zweite große Nackenschlag in diesem Turnier - aber noch nicht der letzte.
 

El Basto in seiner Partie der 4. Runde.
Es sah zu diesem Zeitpunkt nicht sehr gut aus.
Während Sebastian (s. links) kämpfte, wurde
auf der Tribüne munter geschnarcht. Vom Täter
wurde uns lediglich dieses Phantombild zugespielt.

4. Turniertag

Am 4. Turniertag war Sebastian zunächst in geheimer Mission unterwegs - Gegner war der Internationale Meister Roger Moor (2395 ELO) aus der Schweiz. Sebastian schickte einen seiner Bauern auf eine tödliche Misson, sprich Opfer. Der IM konnte jedoch das Material behaupten und den Punkt mitnehmen. Am Nachmittag gab es dafür wieder einen Sieg gegen 2106/2090. Es war eine sehr starke positionelle Leistung .Sebastian schnitt die gegnerischen Möglichkeiten schön ab und erhöhte nach und nach den Druck auf die Königsstellung der Gegnerin, bis der Angriff zu stark wurde und die Stellung platzte.

Mich erwischte es ganz lustig. Hey, 1 Punkt aus 5 Runden  - da müsste doch eigentlich ein schlagbarer Gegner drin sein!? Ich traf allerdings auf den bekannten FIDE-Meister Fahnenschmidt, welcher noch in den 80iger Jahren ein bekannter Bundesligaspieler war, der u.a. ebendort auch zweimal gegen einen gewissen Dr. Hübner remisierte, der damals zur Weltelite gehörte. Auf Grund gesundheitlicher Probleme hatte der gute Mann jedoch bis dato genau wie ich nur ein Pünktchen ergattert. Die Partie wurde zu einer taktischen Auseinandersetzung, bei der ich aber gut mitspielen konnte. Irgendwann jedoch blieb in dem von meinem Gegner angerührten Handgemenge eine Qualität von mir hängen, mein Gegenangriff war dann nicht mehr ausreichend.

In der zweiten Partie des Tages musste ich gegen einen blinden Spieler antreten. Hierbei ist es notwendig, die eigenen Züge dem Gegner anzusagen und dessen angesagte Züge auf dem Brett auszuführen. Natürlich für einen selbst etwas ungewohnt, aber für den anderen ist das Handicap natürlich wesentlich größer. Der Spieler hatte knapp 1600 DWZ und 1800 ELO - eine enorme Leistung. Ich spielte die Eröffnung hier grottenschlecht und musste viel Zeit darauf verwenden, die Figuren umzuarrangieren, was mein Gegner zu einem Zentrumsdurchbruch nutzte, der ihm völligen Ausgleich gab. Remis war das Ergebnis dieser Partie.
 

Blick in das Gemeindehaus mit der Bühne.
Dort wurden die ersten 5 Bretter gespielt.
Das ist die Turnhalle mit weiteren 300 Brettern.
Links die restlichen Bretter vom A-Turnier,
rechts finden sich die Tische der B- und C-Turniere.

5. Turniertag

Während ich also bis dato im Turnier bereits zweimal mein Waterloo erlebt hatte, erreichte in Runde 7 auch Sebastian mit seinen Truppen die Beresina. Gegner war IM Rombaldoni aus Italien (2449 ELO). Hier konnte Sebastian dank der richtigen Eröffnungswahl mit den schwarzen Steinen Ausgleich erzielen und ein völliges Remisendspiel erreichen. Er hatte sogar einen Bauern mehr, dazu den Läufer, der italienische Meister verfügte über einen Springer, allerdings wohl auch über den aktiveren König. Die Stellung war eigentlich tot Remis, aber nach einer unnötigen Ungenauigkeit konnte Weiß noch einen Versuch unternehmen. Die Stellung war zwar nach wie vor Remis, aber wie das so ist, ein Fehler folgt auf den nächsten und diese Partie ging noch verloren.

Gleichzeitig erlebte ich den dritten herben Schlag ins Kontor. Mit Weiß gegen 1790/1830 wollte ich endlich den ersten Punkt holen, kam allerdings mit Weiß ohne Vorteile aus der Eröffnung und landete in einem Doppelturmendspiel. Hier unterlief mir ein grober Fehler und ich stellte einen Bauern ein. Aber all dem bisherigen Elend zum Trotz kämpfte ich nochmal und machte in der Folge auch alles richtig: Einen Turm abgetauscht und die Bauern am Damenflügel eliminiert. Am Königsflügel reduzierte ich seine 4-3 Bauernmehrheit auf 2-1 und erreichte nach viereinhalb Stunden endlich die gewünschte Remisstellung - dann hatte ich einen Blackout und ließ mich mattsetzen. Der Kampf in Deizisau wurde auf verlorenem Posten geführt.

Einen Blackout hatte in der Schlußrunde auch Sebastians Gegner. Nach etwa 10 Zügen stand er schon verdächtig, als er einen Spieß übersah und eine Schwerfigur verlor - er musste aufgeben. Für einen Spieler mit 2125/2150 schon ein ordentlicher Bock. In meiner Schlußpartie wählte mein Gegner als Weißspieler ein stumpfes Abtauschsystem. Ich wollte nochmal was versuchen, mußte aber das Läuferpaar abgeben und wir vereinbarten ein schnelles Remis. Endlich: Schluß und Aus, der ganze Horror war beendet. Somit 5,5/9 für Sebastian und ein Gewinn von 8 DWZ-Punkten, unter dem Strich sicherlich ok, aber ein halbes Pünktchen mehr, z.B. gegen Rombaldoni, hätte er sicher gerne noch gehabt. Bei mir standen 2,0 Punkte zu Buche, was einem Desaster und dem Verlust von über 40 Wertungspunkten gleichkommt.

Fazit

"Heaven's Open" - Mike Oldfield

Der Turniersieg ging an Naiditsch, welcher 8,5 von möglichen 9 Punkten holte. Topmann Bacrot enttäuschte mit 6,0 und Platz 39. Welche unglaublichen Fehler auch solchen Weltklasseleuten passieren können, sah man in der Partie Spirin vs. Bacrot in der 7. Runde. Es ergab sich folgende Stellung:
 

Spirin - Bacrot
Schwarz am Zug

Nunmehr grub Bacrot in seinem 34. Zug als Schwarzer hier Te3 aus, was für allgemeines Entsetzen sorgte. Zeitnot war definitiv hier nicht im Spiel. Der Franzose hatte nach Zug 46 schließlich sogar einen ganzen Turm weniger, schleppte sich aber noch bis Zug 66 weiter. Was hätte wohl Kortschnoi dazu gesagt?

Ansonsten bleibt zu sagen, ein nettes Turnier, ein sehr professioneller Internetauftritt, allerdings sehr späte Rundenauslosungen, was aber bei so vielen Teilnehmern vielleicht nicht immer vermeidbar ist. Obwohl es Deutschlands größtes Turnier ist, würde ich es nicht als Heaven's Open bezeichnen, die Toilettensituation z.B. erinnerte eher an Hell's Kitchen. Aber bis 2012 haben die Jungs das sicher geregelt. Wir kommen wieder!

Hier noch ein paar Links:

Turnierseite mit Ergebnissen

Bericht bei Chessbase

- frank modder, 27.04.11

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